Artikel von H. Windscheid
Die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) will neue Wohnungen bauen. Zu diesem Zweck sind das „Bündnis für das Wohnen in Hamburg“ zwischen dem Senat und Wohnungsverbänden und der „Vertrag für Hamburg – Wohnungsneubau“ zwischen Senat und Bezirken geschlossen worden. In beiden Schriftstücken verpflichten sich die beteiligten Parteien, formulierte Vereinbarungen zu erfüllen.
So sollen im Bezirk Wandsbek jährlich 1100 Baugenehmigungen erteilt werden. Ein Blick in das Wohnungsbauprogramm 2012 für Hamburg zeigt, dass für dieses Ziel jede erdenkliche Fläche genutzt werden muss. Grünflächen sollen bebaut werden, bestehende Ensembles verdichtet, veralteter Wohnraum abgerissen und nicht mehr genutzte Industrieflächen zu Bauland werden.
Was bedeutet das für die Gartenstadt Berne?
Im „Bündnis für das Wohnen in Hamburg“ ist schon in der Präambel zu lesen: „…Hohe Priorität sollen Projekte der Innenentwicklung und die Verdichtung von älteren Siedlungen haben. Hierdurch kann Wohnungsbau in guten Lagequalitäten entwickelt und die vorhandenen Infrastruktureinrichtungen können genutzt werden…“
Weiter heißt es unter dem Stichwort Vereinbarungen a) Verpflichtungen der FHH: „…Die FHH wird bei der Beurteilung von Wohnungsneubauprojekten dem Ziel – Priorität der Innenentwicklung – eine hohe Bedeutung beimessen und, soweit rechtlich möglich und städtebaulich angemessen, die Mobilisierung von Verdichtungspotenzialen aktiv unterstützen bzw. durch Anpassung des Planrechts bzw. Befreiungen ermöglichen. Dies soll insbesondere die Errichtung von preiswertem inner-städtischem Wohnraum befördern. Darüber hinaus stellt die BSU für Maßnahmen der Innenentwicklung und Verdichtungen Fördermittel aus dem Programm Innenentwicklung bereit, soweit die Entwicklung von Grundstücken für den Geschosswohnungsbau von grundstücksbedingten bzw. standortbedingten Erschwernisse behindert wird…“
Auch die Wohnungsverbände müssen tätig werden: „…Die Wohnungsverbände veranlassen die Prüfung der Bebaubarkeit sowie eventueller Verdichtungspotenziale und Mobilisierung der Grundstücke der Mitgliedsunternehmen als auch den ergänzenden Ankauf privater Flächen. Die Wohnungsverbände verpflichten sich, auf ihre Mitgliedsunternehmen einzuwirken, dass im Zuge solcher Verdichtungsmaßnahmen auch qualitative Verbesserungen für Bestandsmieter erreicht werden…“
Es gilt also neuen Wohnraum zu schaffen, der den heutigen Ansprüchen an Wohnfläche, Ausstattung und Energie-Effizienz entspricht. Die FHH wird zusätzliche Mittel bereitstellen, um den zu erwartenden Bauantrags-Boom zeitgerecht bearbeiten zu können und Änderungen im Bebauungsplan vorzunehmen (nachzulesen „Vertrag für Hamburg – Wohnungsneubau“).
Die Gartenstadt Berne steht zwar unter Milieuschutz und bis auf einen kleinen Teil (die „Insel“) im Bebauungsplan aus dem Jahre 1954 nur für Wohnraum mit 1 Obergeschoss vorgesehen – aber auch Bebauungspläne können geändert werden und mit den richtigen Argumenten lässt sich trefflich eine Verdichtung und sogar der Abriss begründen.
Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V., in dem auch die Gartenstadt Hamburg Mitglied ist, begrüßt in einer Presseinformation vom 14.2.2011 ein Urteil des Bundesgerichtshofes, in dem es um eine Abrisskündigung geht, der stattgegeben wurde. Es betraf eine Mieterin, die sich weigerte aus ihrer Wohnung in der Hamburger Riedsiedlung auszuziehen. Die Siedlung sollte abgerissen und neu bebaut werden. Die Riedsiedlung wurde in 3 Bauabschnitten in den 1930ger Jahren als Ersatzquartier für das Gängeviertel errichtet. Die Wohnungen waren einfach und günstig. Die Mieterin hatte die Kündigung der Wohnung angefochten. Interessant für uns ist die Begründung des Urteils:
„… Es genüge vielmehr, dass die Klägerin (Vermieterin) im Einzelnen dargelegt habe, dass sie wegen der nach heutigen Maßstäben unzulässig niedrigen Raumhöhen, der mangelhaften Belichtung, fehlenden Wärmedämmung sowie wegen der gravierenden Schäden an der Bausubstanz den Abriss der vorhandenen Bebauung und seine Ersetzung durch moderne Neubauten für erforderlich halte.
Die Kündigung der Klägerin (Vermieterin) sei auch begründet, weil sie durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wäre und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.
…
Dem Vermieter könne die Möglichkeit, sich für einen Abriss der sanierungsbedürftigen Bausubstanz und die Bebauung des Grundstücks mit Neubauwohnungen zu entscheiden, nicht verwehrt werden, wenn auch im Falle der Sanierung nur ein mit heutigen Wohnbedürfnissen und Vorstellungen nicht im Einklang stehender baulicher Zustand geschaffen würde. Dies sei hier der Fall, denn die vorhandenen Unzulänglichkeiten wie geringe Deckenhöhen, kleine Fenster, steile Treppen und gefangene Räume könnten nur unter gravierenden Eingriffen in die Bausubstanz und die Grundrissgestaltung behoben werden. Die Klägerin (Vermieterin) würde durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses auch erhebliche Nachteile erleiden. Sie wäre gezwungen, erhebliche finanzielle Mittel für den Erhalt der vorhandenen minderwertigen Bebauung aufzuwenden, und könnte das von ihr für die Flächen der R. siedlung erstellte städtebauliche Konzept mit diversen aufeinander abgestimmten Neubauhäusern bezüglich des verbleibenden Wohnblocks nicht verwirklichen…“
(BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 155/10 – )
Diese Argumentation kommt uns doch bekannt vor. Auch auf die Gartenstadt-Siedlung treffen laut Aussagen des Vorstandes diese Mängel zu. Vermutlich haben sich die Wohnungsunternehmen längst auf eine einheitliche Argumentationsweise in Fällen wie der Riedsiedlung oder der Siedlung Berne geeinigt. Jedenfalls hören wir dieselben Argumente gebetsmühlenartig in jeder Diskussion vom Vorstand und Aufsichtsrat. Allerdings ohne den Beweis durch stichhaltige Zahlen für Unwirtschaftlichkeit der Siedlung oder Kostenexplosion durch Denkmalschutz. Was den Umgang mit Mieterinitiativen betrifft, findet man beim Norddeutschen Rundfunk in einem Bericht über den Mieterprotest am Spannskamp gegen die geplante Verdichtung folgende Aussage: „…Das Bezirksamt Eimsbüttel rät, unbedingt zu bauen. Der in Hamburg hochkochende Anwohnerprotest gegen die Lückenbebauung dürfe nirgends schnellen Erfolg haben…“
(NDR 90,3 Stand: 10.11.2012 11:07 Uhr , Protest gegen Wohnungsbau in Stellingen).
Die Marschrichtung von Wohnungswirtschaft und Freier Hansestadt Hamburg ist klar, die Reihen fest geschlossen.
Trotzdem ist das kein Grund um aufzugeben. Es lohnt sich, für den Erhalt der Siedlung zu kämpfen. Die Siedlungsbewohner haben in den 70ger Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgreich für den Erhalt der Gartenstadt gekämpft. Viele Aktive von damals sind heute mit den Plänen des Vorstandes einverstanden und bereit, Teile der Siedlung aufzugeben. Aber es gibt eine neue Generation von Siedlungsbewohnern, die die Siedlung erhalten wollen und den Genossenschaftlichen Gedanken wieder beleben werden.
H. Windscheid