Schreiben von Klaus Oberdick an die Vertreter der Gartenstadt Hamburg eG vom 18.9.2013

Aus aktuellem Anlass und mit freundlicher Erlaubnis veröffentlicht die Initiative folgenden Brief, den Klaus Oberdick allen Vertretern der Genossenschaft geschrieben hat. Herr Oberdick ist selbst Vertreter und wohnt auf der sogenannten „Entwicklungsfläche“, die von der Genossenschaft vom Denkmalschutz ausgenommen wurde. Der Brief ging in Kopie auch an Herrn Witt.

Redaktion Initiative Siedlung Berne


 

Schreiben von Klaus Oberdieck an die Vertreter der Gartenstadt eG
Kopie: Herr Witt

18.09.2013

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

ich weiß, Sie sind es nicht gewohnt, dass man Sie direkt anspricht. Wir sind es aber auch nicht gewohnt, dass wir uns in unserer Genossenschaft um unser Zuhause sorgen müssen. Ungewöhnliche Umstände erfordern eben ungewöhnliche Maßnahmen.
Es geht um die Insel / Dreiecksfläche / Entwicklungsfläche Berner Heerweg / Meiendorfer Stieg. In der ersten Hälfte 2012 hat die Gartenstadt versucht einen Erben aus dem Berner Heerweg nach Hohenberne umzuleiten. Auf Nachfrage hat der Vorstand bestätigt, dass das in unserer Genossenschaft vorher nicht vorgekommen sei. Der Erbe hat abgelehnt, sonst hätten wir jetzt sogar fünf und nicht vier Leerstände. (Es geht um 37 Einheiten auf der Fläche.)

Das mit der Insel, von Seiten der Gartenstadt, etwas passieren soll war seitdem klar. Als  Vertreter habe ich den Kontakt zu der Nachbarschaft gesucht, um herauszufinden wie sich die Menschen die Zukunft vorstellen.
Eine teilweise Erneuerung der Häuser und ggf. eine Zwischenbebauung wurde nicht generell abgelehnt. Ich wollte die Flucht nach vorne antreten und eine kleinteilige Neubebauung zur Diskussion stellen, um die Insel insgesamt für die Zukunft abzusichern ( Gartenstadtcharakter ja, Hochhäuser nein).
In diversen Gesprächen mit dem Vorstand habe ich folgende Botschaften erhalten:
Eine kleinteilige Bebauung wird abgelehnt, weil man sich nicht Optionen für die Zukunft verbauen möchte. Es ist nicht relevant, was einzelne Genossenschaftsmitglieder und deren Familien, die auf der Insel wohnen, möchten. Das Gesamtwohl der Genossenschaft ist entscheidend.  
Während der Veranstaltung im Februar 2013, als man uns nebenbei die denkmalrechtliche Teilung zur Kenntnis gebracht hat, wurde die entscheidende Frage gestellt:
(Zur Erläuterung: 94% der Siedlung werden zum 01.05.2013 unter Denkmalschutz gestellt, 6 % – die Inselfläche – nicht.)

Warum nur 94 % und nicht 100 %?
Eine Antwort ist bis heute nicht erfolgt.
Auch hat bis heute Niemand die Verantwortung für diese entscheidende Weichenstellung, das anerkannte Denkmal zu teilen, übernommen.

Wer trägt die Verantwortung?
Es gab eine kleine Anfrage Fraktion „Die Linke“ im Senat zu diesem Thema: Dabei ist herausgekommen, dass nur die Genossenschaft selber für diese Weichenstellung und damit für die Nichtunterschutzstellung der Inselfläche verantwortlich ist.

Wir möchten also von unserem Vorstand wissen, was die Gründe sind und wir fordern Herrn Witt auf klar und uneingeschränkt die Verantwortung zu übernehmen.
Eine Einteilung in 6 % und 94 % ist im höchsten Maße ungenossenschaftlich.
Für diese Aufteilung gibt es auch kein Mandat.

Ein erkanntes Denkmal nicht in den Denkmalschutz zu überführen ist rechtlich fragwürdig.
Im Frühjahr hat dann eine Informationsveranstaltung im Gemeinschaftshaus für die Bewohner der Insel stattgefunden. Ich war als einziger dort wohnender Vertreter anwesend. Ein anderer Vertreter von Wahlbezirk 1, der sich informieren wollte, wurde von Herrn Witt höflich hinausgebeten. Also informiere ich Sie sozusagen als Vertreterkollege. Im Vorfeld der Informationsveranstaltung wurde auch der Wunsch geäußert die gesamten Vertreter der Siedlung Berne teilnehmen zu lassen. Dieser Wunsch wurde seitens des Vorstandes abgelehnt.

Die Weitergabe der Häuser an unsere direkten Familienangehörigen ist insofern abgeändert worden, dass eine Übertragung nur mit dem Erbfall eintritt (streng nach BGB).  Eine Weitergabe zu Lebzeiten, wie es im Regelfall bisher praktiziert wurde, soll für die Genossen der Insel ausgeschlossen sein. Das würde natürlich eine Weitergabe unserer geschichtsträchtigen Häuser und Ausbauten zu Lebzeiten an unsere späteren Erben ziemlich erschweren bis unmöglich machen.
Das ist im höchsten Maße ungenossenschaftlich. Wie kann man zwei unterschiedliche Verfahrensweisen in einer Siedlung anwenden? Wenn das so praktiziert werden soll, dann muss das natürlich für die ganze Siedlung gelten. Es kann nur so sein, dass  entweder die alte Regelung oder die neue Regelung für die gesamte Siedlung gilt.

Im Oktober 2012 hatte ich Sie (die Vertreter von 1) direkt angeschrieben und über den Leerstand von vier Siedlungshäusern berichtet. Der Mieteinnahmeverlust betrug zu diesem Zeitpunkt (moderat gerechnet bei einer Miete von Euro 300,–) Euro 21.600,–. Nun kommt ein weiteres Jahr mit  14.400,– Euro dazu.
Die nunmehr vom Vorstand initiierten zehn Kernbohrungen pro Haushälfte zur Untersuchung der „Standfestigkeit“ sind nicht generell notwendig. Die Kosten der Kernbohrungen betragen pro Haushälfte Euro 3.000,– bis 4.000,– (Also im Mittel Euro 3.500,–). Der Betonanteil bei unseren Häusern ist sehr gering. Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Um den Karbonisierungsgrad, die Feuchtigkeit und ggf. Korrosionsschäden festzustellen, kann mit wesentlich einfacheren Mitteln gearbeitet  werden. z.B. etwas Mauerwerk abschlagen und mir Phenolfthalin (ähnlich von der Wirkung wie Lakmuspapier) vor Ort sofort den Karbonisierungsgrad feststellen. Eine Überprüfung kostet ggf. 750,– Euro maximal.
Es würde erst einmal völlig ausreichen, wenn ein mit dem Erhalt älterer Gebäude vertrauter Sachverständiger Decke, Wände und Sole optisch wahrnimmt. Jedes Haus ist von seiner Beschaffenheit unterschiedlich. Eine Prüfung muss individuell erfolgen. Damit erübrigt sich jede Kernbohrung. Es sind bis jetzt 17 Kernbohrungen in der Siedlung durchgeführt worden ( = 59.000,– Euro). Es sind 30 weitere Haushälften mit jeweils 10 Kernbohrungen auf der Insel in Auftrag gegeben worden ( = 105.000,– Euro).
Wenn wir die gleichen Ergebnisse für 750,– Euro bekommen, dann haben wir 128.000,– Euro verschenkt. Mit Email vom 05.09.2013 und 09.09.2013 habe ich Herrn Witt aufgefordert die Kernbohrungen sofort auszusetzen, weil hier sinnlos Geld verbrannt wird. Das muss man sich mal vorstellen. Wenn etwas für einige 100,– Euro repariert werden soll wird diskutiert und hier werden mit einem Federstrich die gesamten Jahresmieteinnahmen der Dreiecksfläche vernichtet.

Ich habe mich als Nichtfachmann in die Materie eingelesen und mir fachlichen Rat eingeholt. Wir haben meinen Keller begutachtet  (Top Zustand) und den Keller von Meiendorfer Stieg Nr. 5. Hier sind größere Schäden als in meinem Keller. Aber keine Schäden, die nicht reparierbar wären. Hier würde eine fachgerechte Kellersanierung ca.  15.000,– Euro kosten. Mit Sicherheit ist Meiendorfer Stieg Nr. 5 einer der schlechtesten Keller auf der Insel.
Falls tatsächlich einmal eine Decke schwach erscheint, kann man ohne Probleme einen Stahlunterzug für ca. 5.000,– Euro einbauen. Dann hält das Haus für die nächsten 50 bis 100 Jahre. Nach den Erkenntnissen, die ich zu diesem Thema gesammelt habe, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass es jemals tatsächlich nötig war oder ist eine komplette Kellerdecke neu einzubauen.
Wenn es Probleme gibt ist es nicht der Beton sondern sind es Feuchtigkeitsprobleme. Ich habe als junger Mann vor 35 Jahren das Wasser aus dem Regenrohr etwa vier Meter vom Haus weg in eine Sickergrube geleitet. Seitdem hatte ich nie wieder Feuchtigkeitsproblem bei mir im Keller.
Es ist ein offenes Geheimnis in der Siedlung, dass die Häuser im Kornpfad mit Abstand die meisten Probleme haben. Das liegt an der Bodenbeschaffenheit. Im Meiendorfer Stieg haben wir ein eher sandigen Boden und mit der Bahnschneise eine natürliche Ablaufkante. Im Kornpfad, insbesondere um den kleinen Teich herum, befinden sich Tonschichten und das Wasser läuft schwer ab.
Wir haben uns immer gewundert, dass die Ergebnisse aus den bereits durchgeführten Kernbohrungen nicht veröffentlicht wurden, bzw., dass die betroffenen Siedler nicht über das Resultat informiert wurden. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Es wurde nichts berichtet, weil es nichts zu berichten gibt.

Eigentlich soll ja der Aufsichtsrat den Vorstand kontrollieren. Aber das funktioniert hier nicht. Es werden sinnlos Kosten produziert um einzelne Häuser und letztendlich die Siedlung unwirtschaftlich  zu rechnen. Wie der Vorstand immer wieder betont, gibt es in den nächsten Jahren keine finanziellen Mittel, um ein weiteres  Großprojekt bei uns zu finanzieren. Insofern ist die Aussage des Vorstandes, dass es bzgl. einer Neubebauung der Insel keine Pläne gibt, noch richtig. Das, was bei uns aber gerade passiert, sind die deutlichen  Vorbereitungen dafür. Der Vertrauensverlust ist groß und nach dem Prinzip der sozialen Erosion werden die Anwohner mürbe und erwägen den Wegzug. Entsprechend attraktive Angebote werden geheim ausgehandelt und verschleiert. Das Alles ist unsolidarisch, intransparent, ungenossenschaftlich und treibt die Kosten gewaltig in die Höhe.
Leider schwindet das Vertrauen in den Vorstand und den Aufsichtsrat immer schneller. Genossenschaftliche Grundprinzipien weichen immer mehr den Gesetzmäßigkeiten des privatwirtschaftlichen und profitorientierten Wohnungsbaus. Es wird entmietet und auf Zeit gespielt. Hamburg kann nicht nach Außen wachsen und benötigt dringend Wohnraum innerhalb der Stadtgrenzen. In 15 – 20 Jahren wird mit ziemlicher Sicherheit der nächste Abschnitt der Gartenstadt eG im Fokus sein. Der politische Druck muss enorm sein.

Wir sollten uns der Verantwortung und genossenschaftlichen Grundregeln wieder bewusster werden, damit unsere Lebensform und Struktur in der Gartenstadtsiedlung Berne, die Keimzelle unserer Genossenschaft, auch für nachwachsende Generationen so lebenswert erhalten bleibt, wie wir es nunmehr über Generationen erleben durften.

Zu diesem Thema passt ein Abschnitt aus dem „Hamburg Fremdenblatt“ vom 25.09.1909: „Eine Gartenstadt ist eine planmäßig gestaltete Siedlung auf wohlfeilem Gelände, das dauernd im Obereigentum der Gemeinschaft (Staat, Gemeinde, Genossenschaft oder dergleichen) erhalten wird, derart, dass jede Spekulation mit dem Grund und Boden für immer ausgeschlossen und der Wertezuwachs der Gemeinschaft gesichert bleibt. Die soziale und wirtschaftliche Grundlage bringt und erhält der neuentstehenden Stadt auch den Garten – selbst für den Minderbemittelten -, sie macht sie zur Gartenstadt.“

In der Hoffnung, den genossenschaftlichen Geist bei  jeden Einzelnen von Ihnen zu wecken und eine Spaltung der Genossenschaft zu vermeiden bitte ich um Rückmeldung in mündlicher oder schriftlicher Form.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Oberdick

Ein Gedanke zu “Schreiben von Klaus Oberdick an die Vertreter der Gartenstadt Hamburg eG vom 18.9.2013

  1. Kommentar zum „offenen Brief“ des Genossen Oberdick
    Lieber Genosse Oberdick.
    Vielen Dank für deine offenen und zutreffenden Worte. Ich finde es im höchsten Maße befremdlich, wenn sich ein Mitglied der Genossenschaft dafür entschuldigen muss, das es einen seiner Vertreter anspricht. „Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken“ , aber wenn die Füße durch die Filzstrümpfe auch schon stinken, dann ist es höchste Zeit diese auszutauschen!
    Weiterhin finde ich es sehr fragwürdig, das die Genossenschaft den „Inselbewohnern“ offensichtlich Offerten macht, diese aber nicht öffentlich zu gibt – unsolidarisch und ungenossenschaftlich sind dabei noch die „netten Bezeichnungen“. Mir würden dutzende von anderen Begriffen dazu einfallen – asozial ist einer der freundlichen!
    Die Ängste der „Inselbewohner“ auszunutzen ist schäbig. Vorstand und Aufsichtsrat sollten sich schämen!
    Ich finde es großartig, das du dir „fachkundigen Rat“ geholt und dich schlau gemacht hast. Das allein sollte den „Mitbewohnern der Insel“ und allen Anderen Mut machen dich bei deinem Vorhaben zu unterstützen. Wenn deine Zahlen richtig sind, dann sollte man den Vorstand/Aufsichtsrat persönlich für die eventuelle Verschwendung von Genossenschaftsvermögen haftbar machen! Ein Skandal, der seines Gleichen sucht! Bohrstopp sofort!
    Die Genossenschaft sollte sich darüber Gedanken machen, ob eine generelle Überarbeitung der Gremien und ihrer Besetzung nicht genossenschaftlicher wäre als das WEITER SO. Eine Vollbremsung ist oft sinnvoller als langsam den Abhang hinunter zu rollen. In diesem Sinne – für deinen Kampf, der sicherlich auch auf die persönliche Ebene getragen wird – alles Gute und starke Nerven.
    Mit solidarischem Gruß
    W. Iderstand

    PS – Vielen Dank an die Initiative Siedlung Berne, das sie diesen Brief, der viel Zündstoff enthält, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

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