Abrisskultur in Hamburg: Falsche Anreize und hemmungslose Genossenschaften

Hamburg ist eine Stadt, in der wir gerne wohnen. Dazu tragen die Klinkerbauten und das viele Grün an den Straßen wesentlich bei: eine einzigartige – typisch norddeutsche – Kombination von Natur und Stadt. Als Bürger einer Hansestadt hatten wir bis jetzt den Eindruck, in einer demokratisch organisierten und eben nicht obrigkeits-bestimmten Stadt zu leben. Doch seit dem der Senat begonnen hat, sein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm durchzusetzen, wird dieses Lebensgefühl und das Stadtbild Stück für Stück zerstört. Das ist für jeden Bürger in allen Stadtteilen zu merken.

Bäume müssen Neubauten weichen, Grünflächen ebenfalls. Stadtteilprägende Gebäude werden abgerissen, größere Verkehrsinseln bebaut, Kleingärten müssen neuen Wohnblocks weichen, ganze Stadtteile bekommen „neue Mitten“ und werden ihrer alten Struktur beraubt. Denkmäler werden zum Abriss freigegeben und Denkmalwürdige Gebäude erst lieber gar nicht unter Schutz gestellt (dann geht das mit dem Abriss für Neubauten später reibungsloser).

Bürgerinitiativen, die sich gegen dieses Vorgehen wehren, werden durch die „demokratischen“ Strukturen in Hamburg, besonders durch die Zuständigkeiten von Senat und Bezirks-„Parlament“ ausgehebelt. Der Senat hat die Möglichkeit der Evokation – und die nutzt er. Nach Möglichkeit werden die Bürger mit ihren Protesten aber schon weit vorher gestoppt. Bürgerbegehren werden für unzulässig erklärt, „aufsässige“ Mieter und Genossenschaftsmitglieder werden unter Druck gesetzt, mit Duldung der politischen Öffentlichkeit. Dafür gibt es viele Beispiele: Elisa, Langenhorn 73, Eden für Jeden, Wir sind Eppendorf, um nur einige zu nennen.

Viele Hamburger Wohnungsgenossenschaften beteiligen sich am Bauprogramm. Die als Selbsthilfeorganisation gegründete Gemeinschaften werden nun zum Ausführungsorgan der Wohnungsbaupläne des Senats und verfolgen die rigorose Politik der Abriss- und Neubaukultur. Das letzte und bisher drastischste Beispiel dafür ist die Vereinigte Hamburger Wohnungsgenossenschaft und ihr Wohnblock am Elisabethgehölz. Hier wurde allen Hamburgern vorgeführt, wie machtlos selbst eine gut vernetzte Initiative gegenüber ihrer eigenen Genossenschaft und der Hamburger Politik ist (nachzulesen in namhaften Hamburger Tageszeitungen und im Internet „Elisa-bleibt.de“). Trotz erwiesener Sanierbarkeit, trotz positiver Stellungnahmen zum Erhalt (zum Beispiel von Gesellschaften, die sich für den Schutz und den Erhalt Hamburger Klinkerbauten engagieren), trotz vorliegender Sanierungsplänen, trotz dem Kaufangebot eines Investors – der den Bau erhalten wollte, trotz Unterstützung vieler Bürger und Initiativen, war es nicht möglich, dieses stadteilprägende, historische und architektonisch wertvolle Gebäude zu erhalten.

Stattdessen soll nun für 20 Mio. Euro neu gebaut werden, statt für 2 Mio. saniert, und im Ergebnis werden es weniger Wohnungen sein als vorher. Gentrifizierung und Segregation sind die Folgen. Die Terrassenhäuser der WHW in Wandsbek werden wohl folgen.

Was aber macht den Neubau gegenüber dem Erhalt von Altbau so attraktiv? Warum wollen Vermieter lieber große und neue Wohnungen anbieten, statt ihren angestammten Mietern eine kleine und fachgerecht sanierte Wohnung zur Nutzung zu überlassen? Staatlich geförderter Neubau ist betriebswirtschaftlich für den Eigentümer wesentlich günstiger, als selbst finanzierte Sanierung mit geringeren Zuschüssen.

Mieter sind ersetzbar, entgangene Rendite nicht.

Elisa zeigt, wie die Hamburger Wohnungspolitik fehlläuft: falsche Anreize schafft, die letztlich Bestand vernichten, Mieter verdrängen und gerade auch renditeorientierte Wohnungsgenossenschaften, ihren Mitgliedern gegenüber zu rücksichtslosen Wohnungsbauunternehmen macht. Die beispielhafte Zusammenarbeit von Genossenschaft und Politik in diesem Fall sollte allen Genossenschaftsmitgliedern Hamburgs zu denken geben.

Auch wir in Berne leben in Doppelhäusern einer Gartenstadtsiedlung, die in den 20ger Jahren in Selbsthilfe errichtet worden sind. Auch wir sind Teil einer Genossenschaft. Auch unsere Genossenschaft behauptet, unsere Häuser seien unwirtschaftlich, auch unsere Genossenschaft hält die Sanierung unserer Siedlungshäuser für langfristig zu kostspielig, auch unsere Genossenschaft ist interessiert an Neubauten mit großen Wohnungen, auch unsere Genossenschaft betrachtet kleine Wohnungen als nicht „effizient“ genug, auch unsere Genossenschaft ist letztlich mehr an der erzielbaren Rendite denn an der Versorgung ihrer Mitglieder mit günstigem Wohnraum, und d.h. auch: an dem Erhalt des Bestandes, interessiert.

Werte wie eine historische und kulturell herausragende Bedeutung, gewachsene Strukturen, der Denkmalwert, in der Siedlung Berne und anderswo, haben keine Lobby im wachsenden Hamburg.

Wir sind in großer Sorge.

Initiative Siedlung Berne

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