Hamburger Wochenblatt vom 21.6.17: „Wir sind alle Gartenstadt“

„Genossenschaft-Mitglieder fordern mehr Mitbestimmung und Transparenz“

Das Hamburger Wochenblatt berichtet in seiner Ausgabe vom 21.6.17 über die  Diskussionsveranstaltung in der Friedenskirche Berne am 16.6.17 zum Thema:

Wem gehört die Genossenschaft? – Wege zur Stärkung der Mitglieder als Eigentümer

Hier können Sie den Artikel nachlesen (PDF).

Diskussionsveranstaltung am 16.6.17: Wem gehört die Genossenschaft?

Die
Initiative Siedlung Berne
und die Interessengruppe
Wir sind alle Gartenstadt

laden ein zu einer Diskussionsveranstaltung
mit Zuschauerbeteiligung:

Wem gehört die Genossenschaft?
Wege zur Stärkung der
Mitglieder als Eigentümer

am 16.6.2017 um 19.30 Uhr, im Gemeindesaal der Friedenskirche Berne

Lienaustraße 6, 22159 Hamburg

Referenten:

  • Dr. Bosse, Mieterverein zu Hamburg
  • Thomas Schmidt, Initiative „Genossenschaft von unten“, Berlin
  • Olaf Duge, MdHB, Stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen Bürgerschaftsfraktion
  • Daniel Wulff, Vorsitzender der Gemeinschaft der Fritz Schumacher Siedlung, Langenhorn (angefragt)
  • Moderation: Burckhard Plemper, Journalist

Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten!

v.i.S.d.P. Anne Dingkuhn, Blakshörn 23, 22159 Hamburg

Abrisskultur in Hamburg: Falsche Anreize und hemmungslose Genossenschaften

Hamburg ist eine Stadt, in der wir gerne wohnen. Dazu tragen die Klinkerbauten und das viele Grün an den Straßen wesentlich bei: eine einzigartige – typisch norddeutsche – Kombination von Natur und Stadt. Als Bürger einer Hansestadt hatten wir bis jetzt den Eindruck, in einer demokratisch organisierten und eben nicht obrigkeits-bestimmten Stadt zu leben. Doch seit dem der Senat begonnen hat, sein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm durchzusetzen, wird dieses Lebensgefühl und das Stadtbild Stück für Stück zerstört. Das ist für jeden Bürger in allen Stadtteilen zu merken.

Bäume müssen Neubauten weichen, Grünflächen ebenfalls. Stadtteilprägende Gebäude werden abgerissen, größere Verkehrsinseln bebaut, Kleingärten müssen neuen Wohnblocks weichen, ganze Stadtteile bekommen „neue Mitten“ und werden ihrer alten Struktur beraubt. Denkmäler werden zum Abriss freigegeben und Denkmalwürdige Gebäude erst lieber gar nicht unter Schutz gestellt (dann geht das mit dem Abriss für Neubauten später reibungsloser).

Bürgerinitiativen, die sich gegen dieses Vorgehen wehren, werden durch die „demokratischen“ Strukturen in Hamburg, besonders durch die Zuständigkeiten von Senat und Bezirks-„Parlament“ ausgehebelt. Der Senat hat die Möglichkeit der Evokation – und die nutzt er. Nach Möglichkeit werden die Bürger mit ihren Protesten aber schon weit vorher gestoppt. Bürgerbegehren werden für unzulässig erklärt, „aufsässige“ Mieter und Genossenschaftsmitglieder werden unter Druck gesetzt, mit Duldung der politischen Öffentlichkeit. Dafür gibt es viele Beispiele: Elisa, Langenhorn 73, Eden für Jeden, Wir sind Eppendorf, um nur einige zu nennen.

Viele Hamburger Wohnungsgenossenschaften beteiligen sich am Bauprogramm. Die als Selbsthilfeorganisation gegründete Gemeinschaften werden nun zum Ausführungsorgan der Wohnungsbaupläne des Senats und verfolgen die rigorose Politik der Abriss- und Neubaukultur. Das letzte und bisher drastischste Beispiel dafür ist die Vereinigte Hamburger Wohnungsgenossenschaft und ihr Wohnblock am Elisabethgehölz. Hier wurde allen Hamburgern vorgeführt, wie machtlos selbst eine gut vernetzte Initiative gegenüber ihrer eigenen Genossenschaft und der Hamburger Politik ist (nachzulesen in namhaften Hamburger Tageszeitungen und im Internet „Elisa-bleibt.de“). Trotz erwiesener Sanierbarkeit, trotz positiver Stellungnahmen zum Erhalt (zum Beispiel von Gesellschaften, die sich für den Schutz und den Erhalt Hamburger Klinkerbauten engagieren), trotz vorliegender Sanierungsplänen, trotz dem Kaufangebot eines Investors – der den Bau erhalten wollte, trotz Unterstützung vieler Bürger und Initiativen, war es nicht möglich, dieses stadteilprägende, historische und architektonisch wertvolle Gebäude zu erhalten.

Stattdessen soll nun für 20 Mio. Euro neu gebaut werden, statt für 2 Mio. saniert, und im Ergebnis werden es weniger Wohnungen sein als vorher. Gentrifizierung und Segregation sind die Folgen. Die Terrassenhäuser der WHW in Wandsbek werden wohl folgen.

Was aber macht den Neubau gegenüber dem Erhalt von Altbau so attraktiv? Warum wollen Vermieter lieber große und neue Wohnungen anbieten, statt ihren angestammten Mietern eine kleine und fachgerecht sanierte Wohnung zur Nutzung zu überlassen? Staatlich geförderter Neubau ist betriebswirtschaftlich für den Eigentümer wesentlich günstiger, als selbst finanzierte Sanierung mit geringeren Zuschüssen.

Mieter sind ersetzbar, entgangene Rendite nicht.

Elisa zeigt, wie die Hamburger Wohnungspolitik fehlläuft: falsche Anreize schafft, die letztlich Bestand vernichten, Mieter verdrängen und gerade auch renditeorientierte Wohnungsgenossenschaften, ihren Mitgliedern gegenüber zu rücksichtslosen Wohnungsbauunternehmen macht. Die beispielhafte Zusammenarbeit von Genossenschaft und Politik in diesem Fall sollte allen Genossenschaftsmitgliedern Hamburgs zu denken geben.

Auch wir in Berne leben in Doppelhäusern einer Gartenstadtsiedlung, die in den 20ger Jahren in Selbsthilfe errichtet worden sind. Auch wir sind Teil einer Genossenschaft. Auch unsere Genossenschaft behauptet, unsere Häuser seien unwirtschaftlich, auch unsere Genossenschaft hält die Sanierung unserer Siedlungshäuser für langfristig zu kostspielig, auch unsere Genossenschaft ist interessiert an Neubauten mit großen Wohnungen, auch unsere Genossenschaft betrachtet kleine Wohnungen als nicht „effizient“ genug, auch unsere Genossenschaft ist letztlich mehr an der erzielbaren Rendite denn an der Versorgung ihrer Mitglieder mit günstigem Wohnraum, und d.h. auch: an dem Erhalt des Bestandes, interessiert.

Werte wie eine historische und kulturell herausragende Bedeutung, gewachsene Strukturen, der Denkmalwert, in der Siedlung Berne und anderswo, haben keine Lobby im wachsenden Hamburg.

Wir sind in großer Sorge.

Initiative Siedlung Berne

Ortstermin zur Bürgerbelehrung: Olaf Scholz in Berne und was das mit Genossenschaft zu tun hat

Olaf Scholz kam am 09.01.2015 in das Volkshaus Berne mit der Absicht, mit den Bürgern „über unsere Stadt zu sprechen“ und „über die Themen zu diskutieren, die (die Bürger vor Ort) bewegen.“ So der Wortlaut in der Einladung des 1. Bürgermeisters.

Was die Menschen vor Ort bewegte, war Unzufriedenheit und Kritik an einigen politischen Entscheidungen (ÜSG, Unterversorgung in sozialen Einrichtungen, massive Nachverdichtung, drohende Schulschließung in Berne usw.). Die Reaktion des politisch Verantwortlichen: freundliche Kenntnisnahme und der Hinweis, dass sich der einzelne Bürger eben schwer tut zu verstehen, dass alles richtig läuft. Wörtlich: „Man muss mehr neben sich treten, das Ganze von oben sehen: die große Linie stimmt.“ Also: Wer unzufrieden ist, hat sich nicht genug neben sich gestellt, um zu erkennen, dass alles richtig läuft!

Aber bei allem Respekt und demokratischen Anspruch: Nicht nur, dass: 1 Bürgerfrage – 1 Bürgermeisterantwort pro Thema noch keine Diskussion ausmacht.
Ist der Einzelne nun da, um gehört zu werden – oder um belehrt zu werden darüber, was er hinzunehmen hat, weil es angeblich das Beste für „alle“ ist?

Ähnliche Haltungen oder Reflexe kennen wir aus der Genossenschaftspolitik: Wer als Einzelperson Kritik übt oder Partikularinteressen äußert (z.B. an dem Erhalt der gesamten Siedlung Berne), dem wird schnell vorgeworfen, er denke und handle nicht im Interesse der „Gesamtgenossenschaft“.
Dieser Vorwurf kommt aber nicht etwa von eventuell Betroffenen, sondern von Gremienmitgliedern und Vertretern, die in ihrer auserwählten Funktion meinen zu wissen, was eine „Gesamtgenossenschaft“ will und braucht.

Auch hier muss sich der Einzelne von wenigen anderen sagen lassen, was für die Gesamtheit das Beste ist? Ich denke nicht.
Ich bin wie jeder andere Teil des Ganzen, des „Gesamtwohls“ – im demokratischen Sinn. Und nur weil ich mich als Individuum äußere, bin ich nicht automatisch gegen die „Gruppe“, die Stadt, die Genossenschaft, das sogenannte „Gesamtwohl“ – sondern ein Teil des Ganzen. Der unbestimmte Begriff des „Gesamtwohl“ sollte auch nicht von wenigen definiert und dazu benutzt werden, um interessengeleitete Entscheidungen durchzusetzen. Stattdessen sollte „Gesamtwohl in der Genossenschaft“ heißen: auf der Basis des satzungsgemäßen Förderzieles, und im demokratischen Diskurs aller Mitglieder entschieden.

Wie absurd das jetzige, vermeintlich demokratische Selbstverständnis in Genossenschaften ist, zeigt das genossenschaftliche Vertreterwahlrecht und dessen Auslegung durch den Genossenschaftsverband.
In größeren Genossenschaften wählen die Mitglieder in ihren Wohn-bzw. Wahlbezirken eine bestimmte Anzahl von Vertretern (oft ohne Kenntnis der Person und deren Überzeugungen, ohne Programm, und ohne die Möglichkeit der Kommunikation). Diese gewählten Vertreter dürfen dann aber nicht die Interessen ihrer Wähler, und nicht die Interessen ihres Wahlbezirks vertreten. Wenn sie das tun, handeln sie angeblich „ungenossenschaftlich“. Sie sind angehalten, nur im Interesse und dem Wohl der „Gesamtgenossenschaft“ zu handeln und abzustimmen. Womit wir wieder bei der Frage wären, was das ist und wer das bestimmt. So umgeht man trotz demokratischer Formen die Möglichkeit einer tatsächlichen Partizipation. Erstaunlich.
Wer den Begriff des Gesamtwohls – wie in Genossenschaften üblich- also gebraucht, sollte sich diesem Anspruch auch stellen:
Das heißt meiner Meinung nach

  • der Gemeinschaft, der „Gesamtheit“ ein möglichst großes Maß an Mitsprache und Einflussnahme zu ermöglichen, also Demokratie. Das heißt z.B. die Rückkehr zur Generalversammlung, die Direktwahl des Vorstandes, und anderes mehr.
  • Eine bewusste Auseinandersetzung, ein lebendiger Diskurs darüber, was das „Gesamtwohl“ sein könnte, ist unerlässlich. Es sind die Fragen: Wer wollen wir sein (als Gemeinschaft, als Genossenschaft usw.), und: Was ist für uns das Beste?

Im Großen wie im Kleinen kommen demokratische Projekte nicht ohne Wertediskussion und Überprüfung aus, und müssen sie aushalten.

Anne Dingkuhn

Die Initiative zeigt Präsenz

Foto 3

vor dem Volkshaus in Berne

Foto 2

Finger weg

Foto 1

Erhalt statt Abriss

Olaf Scholz in Berne

Olaf Scholz in Berne

Fotos: Andreas Wilde