Wehret den Anfängen?

Anmerkung der Redaktion: Nachfolgend ein Gasttkommentar von W. Stemm

Vorausgeschickt:
Wir bewohnen seit 1959 ein Siedlungshaus im Moschlauer Kamp.

Rein kaufmännisch gedacht, dürfte der Erhalt des Hauses Berner Heerweg 476 sich nicht rechnen. Es darf aber m. E. nicht verkannt werden, dass der derzeitige Zustand des Hauses wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass es in der Vergangenheit versäumt wurde, rechtzeitig ausreichende Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen und auch darauf zu achten, dass die Nutzer pfleglich mit der Heimstätte umgehen.

Stimmt man heute einem Abriss zu, so schafft man u. U. einen Präzedenzfall was die Genossenschaft evtl. ermuntern könnte, auch weitere Häuser dem Verfall preiszugeben um so Platz zu schaffen für neue lukrative Bauvorhaben.
Die heute weiterhin als Nutzungsgebühr gekennzeichnete Miete ist ja im wesentlichen hervorgegangen aus den früheren Instandhaltungskosten, die gem. Aufstellung vom 07.10.1991 = 39% der Grundnutzungsgebühr entsprachen und des Besielungszuschlages, der später umgetauft wurde in „Modernisierungszuschlag“ = zusätzlich 24% der damaligen Grundnutzungsgebühr.
Beide Positionen wurden dann mit herangezogen, wenn es um die Erhöhung der Nutzungsgebühr ging. Da fällt heute dann die Einbeziehung eines weiteren Modernisierungszuschlages (für die Fenster) kaum noch ins Gewicht.

Über die Jahre gerechnet sollten also für die Sanierung des genannten Hauses und anderer genügend Mittel vorhanden sein. Das Ganze auch vor dem Hintergrund, dass man sich nebenbei auch ein Prestigeprojekt (Berner Schloss) vor dessen Erwerb ich wohl als einziger (?) schriftlich Bedenken angemeldet hatte und das ich später kaum ohne Gerüst gesehen habe, sowie lange Leerstände (Ole Wisch) auch leisten kann.

Trotz allem darf nicht verkannt werden, dass unsere Genossenschaft, spätestens seit Aufgabe der Gemeinnützigkeit, die Gedanken der Gründungsväter aufgegeben zu haben scheint und sich, geführt von einem seit vielen Jahren eingespielten Team, gewandelt hat zu einem normalen Wohnungsunternehmen, welches ausschließlich profitabel orientiert sein dürfte und dabei unter Zuhilfenahme der eigenen Interessenvertretung, dem Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmungen (VNW), sich indirekt selbst kontrolliert. Der Fall „Neue Heimat“ lässt grüßen. *
* http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13518360.html
* http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14344141.html

Unterstützt wird sie auch von einem fast perfekt aufgebauten Netzwerk, dessen (Familien-) Mitglieder (m/w) sich dann auch mehrfach im Vorstand, Aufsichtsrat und in der Vertreterliste wiederfanden.

Zum Thema „Denkmalschutz ja oder nein“ vermag ich zum heutigen Zeitpunkt keine Einschätzung abzugeben. Zu gerne hätte ich auf der Versammlung vom 11.05. auch die Meinung des Vorstandes zu den gemachten Ausführungen des Vertreters des Denkmalschutzamtes gehört.

Unsere Situation:
Nachdem unsere Tochter, entgegen unserer eigenen Zukunftsplanung, unter den heute gegebenen Umständen unsere Wohneinheit infolge der hohen Nebenkosten nicht übernehmen kann sind wir vermutlich gezwungen, hier in der Siedlung weiterhin zu bleiben, es sei denn, dass sich Nachfolger finden, die unsere Investitionen und Nachlässe in uns ausreichend erscheinender Form übernehmen.

Wilhelm Stemm

P.S. Für den Fall, dass ich bei meinen Ausführungen Trugschlüssen erlegen bin, werde ich gerne an gleicher Stelle meine Einschätzungen korrigieren.

Und auch an dieser Stelle noch einmal :

Nachgelesen
Auszüge aus unserer Jubiläumszeitschrift anlässlich
des 75jährigen Bestehens unserer Genossenschaft :

Der damalige Vorstand (Sieg, Dembkowski, Witt ) schrieb in seinem Grußwort u. a.:

Zitat: „Auch vor dem Hintergrund des großen Wohnungsbedarfs müssen Mitgliederinteressen und Förderauftrag ihr dominierendes Gewicht bei den unternehmerischen Entscheidungen behalten. Hierbei gewinnen die innergenossenschaftliche Willensbildung und mitgliederorientierter Erfolg zunehmend an Bedeutung. Unsere Mitglieder – Ursprung und Ziel allen genossenschaftlichen Wirkens –
sollen auch in Zukunft Maßstab unseres Handelns bleiben”
Zitat Ende.

Und der damalige Aufsichtsratvorsitzende schrieb bei gleicher Gelegenheit u. a.:

„Es wäre schön, wenn wir alle erkennen, dass die Genossenschaft
unser gemeinsames Haus ist, das uns Schutz und Sicherheit gibt,
wenn wir zusammenhalten.“

Dem wäre wohl nichts hinzuzufügen.
Wilhelm Stemm

Vorstand wird nicht an der Podiumsdiskussion am 11.5.12 teilnehmen – Entscheidung über Siedlungshaus Berner Heerweg 476 auf der nächsten Vertreterversammlung

Nun möchte der Vorstand also nicht an der Podiumsdiskussion am 11.5.12 teilnehmen.

Es ist ja schon kein Geheimnis mehr, dass der Vorstand unserer Genossenschaft gemeinsam mit dem Aufsichtsrat für die Vertreterversammlung am 30.05.2012 einen Abstimmungsantrag in Bezug auf das Siedlungshaus Berner Heerweg 476 vorbereitet hat. Es soll auf dieser Versammlung entschieden werden, ob das Haus erhalten oder abgerissen werden soll.

Warum will der Vorstand und der Aufsichtsrat sich nun an keiner Diskussion zu diesem Thema mit den Mitgliedern vor dieser Veranstaltung beteiligen?

Wenn der Vorstand und der Aufsichtsrat wirklich mit den Mitgliedern der Genossenschaft über dieses Thema beraten und diskutieren möchte, dann doch wohl nicht in einer kurzen Fragestunde vor der Vertreterversammlung (auf der dann anschließend der o.g. Antrag zur Abstimmung kommt).
Nachdem die Diskussion bisher nur auf eine kleine Gruppe (Aufsichtsrat, Vorstand und einige Vertreter der Siedlung Berne) beschränkt war, sollte doch ein größerer Kreis der Mitglieder und der Vertreter die Möglichkeit haben, sich zu informieren und seine Meinung zu äußern.
Es gibt sicherlich noch viele Fragen, die vor einer Entscheidung geklärt werden sollten.
Die Genossenschaft hat die Hafen City Universität (HCU) damit beauftragt, dieses Siedlungshaus einmal genau zu untersuchen. Auf Grundlage dieser Untersuchung und möglichen Sanierungsvorschlägen könnte dann kalkuliert werden, was eine Sanierung kosten würde. Die Untersuchungen haben, nach Aussage des Vorstands, gerade erst begonnen.
Bei dem ersten Gespräch mit der HCU hatte Herr Witt noch gesagt, dass keine Eile geboten ist und noch sehr viel Zeit für die Untersuchungen zur Verfügung steht.
Jetzt soll schon über einen Abriss entschieden werden, obwohl die Ergebnisse noch nicht vorliegen.
Wir als Genossenschaft müssen uns doch auch die Frage stellen, ob wir durch Neubauten noch bezahlbaren Wohnraum schaffen können. Die Mieten, die für Neubauten kalkuliert werden, können sich wohl nur noch einige wenige leisten.
Eine Wohnungsgenossenschaft ist eine Genossenschaft mit dem Ziel, ihre Mitglieder mit preisgünstigem Wohnraum zu versorgen.

Hans-Jörg Köster

Leserbrief zu dem Artikel „Enteignung per Denkmalschutz“ im Hamburger Abendblatt

Der Artikel „Enteignung per Denkmalschutz“, erschienen im Hamburger Abendblatt am 19.4.12, kann hier (kostenpflichtig) aufgerufen werden.

Anmerkung der Redaktion: Hier gibt es eine kostenlose Alternative zum Abruf des Artikels.

Leserbrief  zu dem Artikel vom 19.4.2012

„Enteignung per Denkmalschutz“

Als Mieterin der Genossenschaft, deren Familie schon seit 3 Generationen in der Siedlung Berne zuhause ist, habe ich ihren Artikel aufmerksam, aber auch sehr kritisch gelesen.
Richtig ist, dass sich an der  sanierungsbedürftigen Haushälfte eine Grundsatzentscheidung abzeichnet: Ist die Genossenschaft bereit, in die Sanierung  zu investieren?
Damit wäre nicht nur der unsinnige jahrelange Leerstand  beendet, es wäre ein  Ensemble erhalten, das historisch von Bedeutung ist.
Erhaltenswert ist das Ensemble aber auch durch den Wohnwert für jeden Einzelnen, durch die gewachsenen nachbarschaftlichen Strukturen, und: durch das überaus soziale Prinzip der günstigen Miete. Diese „Nutzungsgebühr“ ist deshalb so günstig, da alle Einbauten (Bad, Heizung, Küche) Sache der Mieter und nicht des Vermieters sind.

Die Entscheidung gegen eine Sanierung heißt  Abriss, Neubau und mit ziemlicher Sicherheit Verdichtung.
Sie heißt auch: neue Mieten, und Aufgabe des Nutzungsgebührprinzips, und damit Aufgabe des Grundgedanken der Gründergeneration:  bezahlbarer Wohnraum für Familien, die im Gegenzug viel Eigeninitiative und Eigenleistung erbringen. Und übrigens auch ein hohes Maß an Identifikation mit dem Quartier, indem sie oft fortan über Generationen leben.

Die Argumente gegen die Sanierung sind vielfältig.
Sie reichen von unangemessen hohen Sanierungskosten gegenüber einer Neubebauung, über fehlende „Zeitgemäßheit“ der Häuser und Grundstücke, bis hin zu schlicht fehlender Nachfrage nach diesen Siedlungshäusern.
Dass von der alten Siedlung eine Existenzbedrohung  für die Genossenschaft ausgehen soll, ist für viele Mieter aber nicht erkennbar.
Die Siedlung macht nur knapp ein Viertel der insgesamt 2300 Wohneinheiten aus, sie hat – dank ihrer Bauweise, guten Pflege und der hohen Eigenleistung der Mieter – viel Geld für die Genossenschaft erwirtschaftet.
Dass das jetzt notwendige Geld für (vorhersehbare) Sanierungsarbeiten nicht in die Siedlungshäuser zurückfließen soll, ist für viele schon sehr  bitter.
Da die Genossenschaft selbst (!) wiederholt  von einem „ungünstigen“ Verhältnis von Bewohnern und Grundfläche in der Siedlung spricht, stellt sich die Frage, ob es hier nicht überhaupt vielmehr um „Optimierung“ der Flächennutzung geht, sprich: Verdichtung.
Dass die Größe der Grundstücke Begehrlichkeiten weckt, liegt auf der Hand.
Aber dass ausgerechnet die Genossenschaft selbst sich zum Motor dieser Entwicklung  in der Siedlung macht, ist bedauerlich.

Anders ist jedenfalls die Polemik gegen das Denkmalamt nicht zu erklären.
Dass Denkmalamt als „Bremse für Sanierung“  zu bezeichnen, ist  absurd, da gerade das Denkmalamt zur Sanierung verpflichten möchte, statt zum Abriss freizugeben.
Mit dem Lächerlichmachen des Denkmalgedankens als „Wohnen im Museum“ zeigt sich die ganze Kurzsichtigkeit: wir leben in der Gartenstadtsiedlung nicht als museale „Kulturschützer“ (Abendblatt), sondern wir leben auch in großem Maße den genossenschaftlichen Gedanken, mit viel Eigeninitiative und Nachbarschaftshilfe, Liebe zur Natur und einem buchstäblich gesunden Verhältnis von Nähe und Abgeschiedenheit.
Würde dies alles als schützenswert erachtet, bräuchte es  der „Enteignung“ durch das Denkmalamt nicht.

Und zu guter Letzt : ich habe auch noch nie gehört, dass der Denkmalschutz  – kaum überspitzt gesagt –  verantwortlich gemacht werden kann für Wohnungsknappheit und fehlendes Wachstum in Hamburg und anderswo.
Ich hoffe, dass sich alle Betroffenen dies noch mal  in Ruhe durch den Kopf gehen lassen, bevor in Kürze eine Entscheidung über das Häuschen fällt.

Anne Dingkuhn